Beginnen wir gleich mit einer wirklich wichtigen Sache: Ich empfehle Dir, Dich mit anderen Menschen, in deren Leben Demenz eine entscheidende Rolle spielt, zusammen zu tun.
Völlig unabhängig davon, ob Du selbst am Anfang eines Lebens mit der Diagnose Demenz stehst oder Deine Frau, Dein Mann, Deine Mutter, Dein Vater, Deine Schwester, Dein Bruder, Dein Kind, Dein Nachbar oder wer auch immer in Deinem Leben.
Ein gutes Netzwerk wird allen Beteiligten helfen … im neuen Leben mit der Demenz.
Ich beobachte immer wieder, dass die Gewalt der Diagnose Demenz zunächst paralysieren und unfähig zu klaren Gedanken machen kann. Zu groß ist die Angst vor dem Unbekannten, vor der Unausweichlichkeit, vor der Angst selbst. Aber: Es geht nicht allein Dir so!
Viele von Demenz direkt oder indirekt Betroffenen versuchen, meist vergeblich, die Sache mit sich selbst auszumachen. Das ist verständlich, aber überhaupt nicht hilfreich. Oft steht bei Angehörigen der Gedanke dahinter, dass Demenz irgendwie peinlich wirkt … bei anderen. Wirklich. Ich meine, wer will schon gern zugeben, dass er der Normalität entschwindet oder einen Menschen an seiner Seite hat, dem dies passiert? Das ist verständlich, aber eben nicht wirklich hilfreich. Demenz ist kein blaues Auge, dass man eine Woche verstecken kann und dann ist alles wieder gut.
Eine kleine Gemeinschaft von Menschen, die das gleiche Schicksal teilen, ist nicht zu verachten. Und klar, keine Gemeinschaft wird Dir Deine Arbeit mit dem Thema abnehmen können oder es aus der Welt schaffen. Das ist auch nicht Sinn und Zweck dieser Empfehlung. Aber es wird Dir und anderen helfen, festzustellen, dass ihr nicht allein seid … und das ist bereits ein wertvolles Geschenk. Wenn dazu noch die eine oder andere Runde bei Kaffee und Kuchen oder von mir aus auch Wein oder Bier dazu beiträgt, sich dem Leben zugehörig zu fühlen, ist das schon eine Menge mehr, als für sich allein im kleinen Kämmerlein mit dem Leben zu hadern.
Und warte damit nicht, bis der Irrsinn über Dir zusammenbricht. Beginne am Besten gleich, in Deiner Umgebung zu schauen, ob es da schon Selbsthilfegruppen, Gesprächsangebote oder Demenzbegleitung gibt. Auch wenn Du am Anfang glaubst, das würde ohnehin nicht helfen, verspreche ich Dir, dass es zumindest helfen wird, wahrzunehmen, dass Du nicht allein bist. Das Alleinsein ist der schlechteste Berater, den man haben kann, wenn man ein soziales Wesen ist. Klar, es gibt Menschen, die können das alles allein mit sich ausmachen, aber wenn Du nicht zu diesen Menschen gehörst, und die Chancen dafür stehen ziemlich gut, bist Du ziemlich gut beraten, Dich mit anderen zusammenzutun.
Und da gibt es eine Menge, was man tun kann, um sich gegenseitig zu unterstützen. Das erste Ergebnis ist es, ich wiederhole mich, nicht allein zu sein … wenn man nicht will. Jeder Mensch mit Demenz hat eine ganz individuelle Form der Demenz, die sich aus seinem Leben, seinen Erfahrungen und seiner Persönlichkeit ergibt. Und ebenso hat jeder Angehörige eines Menschen mit Demenz eine ganz individuelle Art des Umgangs mit Demenz, mit dem Menschen mit Demenz, die sich ebenfalls aus seinem Leben, seinen Erfahrungen und seiner Persönlichkeit ergibt.
Das bedeutet, dass Du von vielen verschiedenen Erfahrungen mit dem Thema Demenz profitieren kannst und andere an Deinen Erfahrungen teilhaben lassen kannst. Jeder, der andere an seinem Leben mit der Demenz teilhaben lässt, ob er selbst die Diagnose bekommen hat oder mit jemandem solchen lebt, hilft der Forschung und dem gesellschaftlichen Umgang mit Demenz auf die Sprünge.
Also, was kannst Du direkt tun? Zunächst kann man versuchen, andere Menschen mit Demenz oder Angehörige von Menschen mit Demenz kennenzulernen. So singulär, wie Demenz am Anfang erscheint: sie ist in Deinem Umfeld wahrscheinlich häufiger, als Du bisher angenommen hast. Wenn Du erste Erfahrungen mit Demenz gesammelt hast, wird sie Dir in Deinem Umfeld von ganz allein auffallen. Ein kleines verwirrtes, unsicheres Umherschauen hier, eine kleine Wiederholung einer Geschichte da, eine kleine oder große Vergesslichkeit dort. Das heißt natürlich nicht, dass jeder dieser Momente auf Demenz zurückzuführen sein muss, aber es ist durchaus möglich. Und natürlich kannst Du Dich auch täuschen, aber Du wirst feststellen, dass Du sensibel wirst, dass Dir kleine unsichtbare Antennen wachsen und Du plötzlich merkst: Demenz ist gar nicht so selten, wie Du glaubtest, als sie für Dich noch kein Thema war.
Beschäftige Dich mit dem Thema. Gehe in eine gut sortierte Bücherei, am Besten eine, die das Thema Demenz auf dem Schirm hat, und erkundige Dich nach Publikationen zum Thema. Frage vor allem, ob Du in das eine oder andere Buch schauen kannst, ohne es gleich kaufen zu müssen, damit Du zumindest abschätzen kannst, ob es im Moment, für Deine Belange das richtige Buch ist. Gehe zu Vorträgen. Schau Dir Filme zum Thema an. Und vergiss dabei nicht: Neben der Demenz existieren noch andere wichtige Dinge! Das wird Dir helfen, der Demenz den ihr gebührenden Platz im Leben einzuräumen, ohne anderes zu vernachlässigen.
Für Menschen mit Demenz, für ihre Angehörigen ist eine kleine überschaubare Gruppe ein wahrer Segen. Als Eltern von Kindern hat keiner etwas gegen gleichgesinnte Gruppen, als Sportfreunde auch nicht, als Liebhaber von Hobbys auch nicht. Warum sollte es also bei Menschen , die durch Demenz eine Verbindung haben (können) anders sein?
Es gibt eine Menge, was man gemeinsam machen kann. Ein solches Netzwerk erschöpft sich nicht in Treffen, bei denen man sich gegenseitig sein Leid klagt. Natürlich ist das wichtig und nicht zu unterschätzen, aber neben dem gemeinsamen Leid gibt es viele andere Gemeinsamkeiten, die man sich schaffen kann. Alles, was man überhaupt tun kann, kann man auch und vor allem mit Menschen mit Demenz. Lass Deiner Kreativität freien Lauf. Gemeinsames Kochen, gemeinsames Singen, gemeinsames Malen, Basteln oder ein gemeinsamer Ausflug haben alle etwas gemeinsam: die Gemeinsamkeit. All diese Aktivitäten, deren Anregung und Umsetzung von anderen beeinflusst werden, können Dir zudem die eine oder andere Idee schenken, die Du auch Zuhause umsetzen kannst. Von mir aus schreibt gemeinsam ein Buch über Demenz. Oder Märchen. Oder kleine Erfahrungsberichte, die ihr euch gemeinsam später anschauen könnt. Geteilte Freude ist doppelte Freude.
Das alles ist besser, als sich allein zu fühlen und den heldenhaftesten Helden aller heldenhaften Helden im heldenhaftesten Universum aller heldenhaften Universen zu mimen, der das ganze Chaos voll im Griff hat und sich durch nichts beeindrucken zu lassen scheint. Klaus, Du weißt, wovon ich rede. Nur weil Du wirklich ein Held warst, der das Ganze irgendwie gemanagt hat, heißt das nicht, dass Deine Frau sich nicht manchmal, statt nach einem Helden, mehr nach einer liebevollen Umarmung, einem verständnisvollen Blick, einem gemeinsamen Weinen gesehnt hat oder nach einem lustigen Tag mit anderen mit einer Menge Heidenspaß … auch wenn sie das alles sogleich wieder vergessen hat.
Bei all diesen Aktivitäten ist es immens wichtig, die direkt an Demenz erkrankten Menschen nicht auszuschließen, sondern aktiv mit einzubeziehen. Besonders die Beobachtung ihres Umgangs mit anderen oder die des Umgangs von anderen mit ihnen, ist hilfreich beim neuen Kennenlernen des Menschen mit Demenz. Denn … dass ihr euch neu kennenlernen werdet, ist vorprogrammiert.
Come Together.
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