Demenzbegleitung: Zertifizierte Leistungen gemäß §§ 43b & 53b SGB XI mit Schwerpunkt Demenzbegleitung zu Hause und in Pflegeheimen in 76829 Landau und Umgebung.

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Papa ist verliebt …

Monika traut ihren Augen nicht: … da sieht sie doch, wie Papa die nette Pflegekraft anhimmelt und sich aufführt wie ein eitler Pfau … was geht denn hier ab??? Außerdem hat sie erst gestern beobachtet, wie Papa und die nette Pflegekraft sich umarmten, und sich zunächst nichts dabei gedacht. Aber jetzt? Da läuft doch was!

Erschüttert spricht sie am Abend mit der Familie und alle sind irgendwie ratlos: Was passiert da? Wie verhindert man komische Sachen? Was ist, wenn Papa sein Testament ändert? Das kann doch alles irgendwie gar nicht sein? Ist das eigentlich erlaubt? Und hat Papa nicht schon immer blonde Frauen mit großen Brüsten gemocht? Da stimmt doch irgendetwas nicht! Arghh! Hilfe!!!11!!!

… und plötzlich begegnet man Papa und vor allem der netten Pflegekraft mit Argwohn und Misstrauen als Basis der gemeinsamen Zukunft. Und weil man sich ja irren und alles eigentlich ganz harmlos sein könnte, aber man dem ganzen Braten doch nicht über den Weg traut (und man hat ja schon so viel gehört!), eiert man herum, wird immer unklarer und die Zweifel und das Problem wachsen wie Orangen in der warmen Sonne Spaniens … Hossa! Olé!

Der schmale Grat zwischen professioneller Nähe und emotionaler Abhängigkeit

Ein nicht zu unterschätzendes Thema in der Pflege, Therapie und sozialen Begleitung über einen kurzen Zeitraum hinaus ist das große Potential der Entstehung emotionaler Abhängigkeiten der zu pflegenden Menschen von zur Hilfe bestimmten Menschen, auf deren unmittelbare Hilfe sie über einen längeren bis langen Zeitraum angewiesen sind. Das kann im besten Fall zu schönen Beziehungen und Lebensfreude führen und im schlimmsten Fall bis hin zur Entfremdung zwischen Angehörigen gehen, aufgrund stetig wachsender emotionaler Bevorzugung der Hilfspersonen durch den hilfebedürftigen Menschen bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der Grenzen durch Hilfspersonen.

Schädigende Situationen müssen nicht einmal vorsätzlich herbeigeführt werden, sondern können sich nach und nach entwickeln hin zu einem Punkt, an dem der hilfsbedürftige Mensch vor der Wahl steht, sich mit der sachlichen oder emotionalen Entscheidung für eine Person gegen andere Personen stellen zu müssen. Ohne einfühlsame Angehörige und/oder professionelle Hilfspersonen ist eine solche Entscheidung nahezu unmöglich, ohne in der Folge einen Haufen Porzellan der Beziehungen zu zertrümmern.

In meinem Aufsatz über professionelle Nähe vertrete ich die Ansicht, dass die Arbeit mit Menschen einer gewissen menschlichen Nähe bedarf und eine sogenannte professionelle Distanz selten den gewünschten Erfolg bringt, weil sie eine emotionale Abhängigkeit nicht verhindert, dafür aber zu emotionaler Entfremdung führen kann. Nichtsdestotrotz darf die Gefahr einer schädigenden emotionalen Abhängigkeit nicht unterschätzt werden.

In Pflegeheimen ist die Gefahr der Entstehung schädigender emotionaler Abhängigkeiten geringer als in der eigenen Wohnung eines hilfebedürftigen Menschen allein aufgrund der großen Anzahl von Mitarbeitern, die in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen alle gewisse menschliche Beziehungen zu ihren Schutzbefohlenen haben und von daher bereits im Vorfeld Anzeichen von merkwürdigen Veränderungen erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen können.

Handelt es sich jedoch um einen hilfebedürftigen Menschen, der über einen langen Zeitraum von einer einzigen oder sehr wenigen Hilfspersonen abhängig ist, kann das ganze Gefüge schnell kippen, einfach weil gewisse Kontrollmechanismen nicht vorhanden sind. Das trifft zum Beispiel zu auf die sogenannte 24-Stunden-Pflege oder eine häuslichen Pflege, bei der nur eine sehr kleine Anzahl von Hilfskräften in der Regel allein mit den hilfebedürftigen Menschen sind. Auch bei einer intensiven sozialen Begleitung ist die Gefahr des Kontrollversagens nicht von der Hand zu weisen, wenn die Begleitung über keine Mechnismen zur Selbstkontrolle verfügt. Das ist regelmäßig der Fall, wenn einzelnen Angehörigen, wie z.B. Jugendlichen, oder ehrenamtlich, also kostenlos arbeitenden Menschen die Begleitung überlassen wird: Hauptsache ist doch, dass sich jemand um den Papa kümmert. Nein, ist es nicht!

Begünstigend wirkt hier die Möglichkeit, dass Angehörige entweder aufgrund ihrer Lebensgestaltung nicht in der Lage sind oder ihnen vielleicht auch der Wille oder die Einsicht fehlt, regelmäßig bei dem hilfsbedürftigen Menschen zu sein und diese Beziehung auch zu pflegen in all ihren Möglichkeiten und Nötigkeiten. Die Beziehungen gerade zwischen Eltern und Kindern ist nicht immer einfach und eitel Sonnenschein. Auch abseits davon sind Kinder nicht immer in der Lage, häufig anwesend zu sein.

Oder vielleicht hat der betreffende Mensch gar keine Angehörigen mehr?  Wenn man schon immer allein gelebt hat oder der Partner weggestorben ist und auch keine Kinder da sind, ist das Leben kein Zuckerschlecken, wenn man auf die überlebenswichige Hilfe anderer Menschen angewiesen ist.

In all diesen Fällen ist ein Schutz vor schädigender emotionaler Abhängigkeit schwer zu gewährleisten, gerade wenn es sich dazu noch um kognitiv in irgendeiner Weise beeinträchtigte Menschen handelt.

Emotionale Abhängigkeit ist an sich nichts Schlechtes oder etwas, was es unbedingt zu unterbinden gilt. Wir alle unterliegen emotionalen Abhängigkeiten zu anderen Menschen, mal mehr oder weniger intensiv. Entscheidend hierbei ist der Grad der Wirkung und die entsprechende Frage, die es zu beantworten gilt:  Wird jemandem durch eine emotionale Abhängigkeit Schaden zugefügt, und wenn ja, was sind die Folgen eines solchen Schadens?

Es kann grundsätzlich zwischen zwei Möglichkeiten der Entstehung emotionaler Abhängigkeit unterschieden werden:

Gezieltes Entstehen

Der GAU ist die gezielte und vorsätzliche Herbeiführung einseitiger emotionaler Abhängigkeit durch die Hilfspersonen, unabhängig von den jeweiligen Aufgaben, mit dem Ziel eines Vorteils zum Schaden des hilfebedürftigen Menschen. Wichtig ist hierbei zuerst die Dauer der Möglichkeit der schädigenden Beeinflussung, z.B. bei sogenannten 24-Stunden-Pflegekräften, und als nächstes die Intensität der auf diese Weise herbeigeführten zwischenmenschlichen Beziehung.

Aber auch die Möglichkeit der gezielten Herbeiführung emotionaler Abhängigkeit durch die hilfebedürftige Person selbst muss in den Bereich der Möglichkeiten einkalkuliert werden, z.B. aufgrund von emotionaler Einsamkeit und überlebenswichtiger Abhängigkeit in Verbindung mit Verliebtheit oder einfach dem Bedürfnis, die Hilfsperson an sich zu binden.

Beides stellt den aktiven Missbrauch anderer Menschen dar. ABER:

… nur weil die nette Pflegekraft den Angehörigen das beruhigende Gefühl vermittelt, sie täten alles für den Papa, muss sie nicht die nette Pflegekraft sein, für die sie gehalten und als die dringend sie gebraucht wird.

… nur weil der Papa pflegebedürftig ist, muss er nicht außer Stande sein, der netten Pflegekraft mit den großen Brüsten das untrügliche Gefühl zu vermitteln, sie sei fianziell von ihm abhängig und hätte aus diesem Grunde auch schon mal Hand dort anzulegen, wo nicht gepflegt werden muss.

An dieser Stelle können wir festhalten, dass ein gezieltes Entstehen von emotionaler Abhängigkeit zum Nachteil einer beteiligten Person ein absolutes NO GO ist und in einer professionellen Beziehung zwischen hilfebedürftigen Menschen und helfenden Personen nichts zu suchen hat, so schnell wie möglich erkannt werden muss und abzustellen ist. Je später solche Zustände erkannt werden, umso schlimmer kann es werden.

Eine Pflegekraft, die dem Versuch der Herstellung emotionaler Abhängigkeit durch einen hilfebedürftigen Menschen ausgesetzt ist, kann das sehr schnell unterbinden, indem sie das Vertragsverhältnis aufkündigt, wenn klare Ansprachen nicht ausreichen.

Im Fall der missbräuchlichen Anbahnung einer emotionalen Abhängigkeit gegenüber einem hilfebedürftigen Menschen kann dieser in der Regel nicht so einfach die Segel streichen, da er ohnehin auf die Hilfsperson angewiesen, also bereits von ihr abhängig ist, und – sofern er sich nicht zur Wehr setzen kann – nach kurzer Zeit entweder lieber gute Mine zum bösen Spiel macht oder emotional bereits so abhängig ist, dass – und hier kommt ein wichtiger juristischer terminus technicus ins Spiel – eine Beeinträchtigung der freien Willensbildung begründet vermutet werden kann oder bereits offenkundig ist.

Bedingtes Entstehen

Emotionale Abhängigkeit entsteht durch menschliche Nähe und gemeinsame Aktivitäten, gemeinsame Überzeugungen, gemeinsame Vorlieben, also durch Gemeinsamkeit. Es muss demnach eine menschliche Beziehung vorhanden sein. Wenn diese Beziehung von allen Beteiligten gewünscht und hergestellt wird, ist das in Ordnung und bildet die Grundlage jeder Gemeinschaft. Zwischen Eltern und Kindern wäre das Fehlen emotionaler Abhängigkeit merkwürdig und führte unweigerlich zu Spannungen und ziemlichen Problemen. Wir sind von zwischenmenschlichen Beziehungen genau unabhängig wie von der Luft zum Atmen und lebenserhaltender Nahrung. Und wenn wir uns auf andere Menschen einlassen und ihnen vertrauen und wir mit ihnen leben, dann ist emotionale Abhängigkeit ein logische Konsequenz, auch wenn wir sie nicht als Abhängigkeit im schädigenden Sinne erkennen oder definieren, sondern z.B. Liebe oder Zuneigung nennen.

Wenden wir uns zuerst einer diesbezüglich durchaus denkbaren Möglichkeit zu: … selbstverständlich kann es sein, dass Papa und die nette Pflegekraft sich unsterblich ineinander verliebt haben und planen, ihr Leben in Zukunft gemeinsam als Lebensgemeinschaft mit oder ohne Eheschließung zu führen. Klar, warum nicht? Nur, weil Papa mehr als dreißig Jahre älter ist, bedeutet das nicht, dass es nicht genauso gekommen ist. Der britische Astrophysiker Stephen Hawking zum Beispiel verließ seine Ehefrau und lebte danach mit seiner Pflegerin Elaine Mason zusammen, die er nach der Scheidung heiratete.

Abgesehen davon ist es auch möglich, dass Papa und die nette Pflegekraft einfach nur beste Freunde geworden sind. Dann könnten die Umarmungen ein Zeichen von menschlicher Nähe und gegenseitigen Respekts sein. Und vielleicht begegnet die nette Pflegekraft der späten Verliebtheit von Papa angemessen und erinnert ihn immer wieder daran, dass neben der emotionalen Bindung noch ein klar professionelles Verhältnis existiert, in dem gewissen Grenzen einfach nicht überschritten werden – zum Schutz und Wohl aller daran beteiligten Menschen, also dem Papa, der netten Pflegekraft und auch der Angehörigen. Und vielleicht vermittelt sie Monika und den anderen Angehörigen in aller Ruhe, dass ihre Befürchtungen jeder Grundlage entbehren und kann das jederzeit durch ihr professionalles Verhalten bestätigen. Wer weiß? Das Leben geht immer wieder erstaunliche Wege.

Fazit

Wenn es wie eine Banane aussieht, wie eine Banane riecht und auch noch wie eine Banane schmeckt, dann muss unter verständiger Würdigung der Umstände durch unbeteiligte Dritte (auch das ein juristischer Begriff) die naheliegende Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass es sich tatsächlich um eine Banane handeln kann, … auch wenn sie vielleicht schon einige faulen Druckstellen hat.

ABER: Nur, weil wir ohne Prüfung der Umstände den bloßen Verdacht haben, am Baum könnte ein Ast abknicken, müssen wir nicht blindlings die schönen Blumen auf dem Rasen zertreten, um einen Ast retten zu wollen, der nur vom Wind hin und her geschüttelt wird.

ALSO:  Bevor wir also alten Damen unbedingt über die Straße helfen wollen, sollten wir nachfragen, ob ihr Ziel auch wirklich die andere Straßenseite ist. Man stelle sich nur die arme alte Dame vor, die den ganzen Tag von hilfsbereiten Menschen über dieselbe Straße geführt wird, … alle gehen mächtig stolz nach Hause, doch sie kommt dort niemals an.

Beiden Alternativen der gezielten und bedingten emotionalen Abhängigkeit gemeinsam sind sowohl eine gewisse Co-Abhängigkeit der unmittelbaren Angehörigen, wie in der Regel den Kindern, sowie recht einfache Usachen: allen voran das Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit sowie Hilfebedürftigkeit, Einsamkeit und Verlustangst. All diese Faktoren sind zutiefst menschliche Wesenszüge und können aus der Rechnung nicht einfach ausgeklammert und müssen angemessen berücksichtigt werden.

Hilfebedürftigkeit, Einsamkeit, Verlustangst sowie ganz besonders das Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit sind ziemlich weit verbreitete menschliche Zustände, die uns nicht nur unser ganzes Leben begleiten und dieses nachhaltig prägen, sondern auch nur allzu gern im Eifer des Gefechts übersehen werden, weil sie – laut übereinstimmenden Berichten der Erfolgreichen – nicht zu einem aktiven, kraftvollen und selbstbestimmten Leben gehören … und wenn doch, eher nicht zum eigenen, sondern dem Leben der Anderen ….

Wir müssen uns bei verständiger Würdigung der Tatsachen damit abfinden, dass die aktive Vermeidung emotionaler Abhängigkeit aus Angst mehr Schaden anrichtet, als ein angemessener Umgang mit ihr. Aus diesem Grunde wenden wir uns jetzt den Möglichkeiten der Vorbeugung und Abhilfe zu, … sofern es einer Abhilfe bedarf, weil es sich um eine schädigende emotionale Abhängigkeit handelt:

Vorbeugung und Abhilfe

Fallbeispiel 1

Monika und ihre Familie haben recht, und die nette Pflegekraft missbraucht die Zuneigung von Papa, weil sie an die Tantiemen will …

Ernstzunehmende Anzeichen für eine solche Konstellation sind:

  1.  die nette Pflegekraft erweckt aktiv den Eindruck des Haushaltsoberhauptes und nimmt aktiv die Stelle einer gleichberechtigten Partnerin von Papa an:
  2. … sie setzt ihren Willen sanft oder auch robust gegen Papa durch ohne Erklärungen oder andere Interventionen, die eine Kommunikation zwischen beiden bzw. den Vorrang des Willens von Papa vermuten lassen können;
  3. … sie schottet Papa gegenüber den Kindern und anderen Personen ab;
  4. … sie lässt Papa selten bis nicht allein mit den Kindern und anderen Personen;
  5. … sie erklärt den Kindern oder anderen Personen gegenüber, dass Papa nicht mehr ganz richtig im Kopf ist, obwohl er etwas anderes sagt, und lügt oder verschweigt oder ändert offenkundige Tatsachen (schwer nachzuweisen … vor allem bei Vorliegen einer kognitiven Beeinträchtigung);
  6. … sie bestraft Papas »Ungehorsam« mit offenkundiger Missbilligung und/oder emotionalem Entzug;
  7. … beide stehen »gegen den Rest der Welt«.
  8. … andere Möglichkeiten will ich hier nicht anführen, da es Bilder gibt, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt …

Bei entsprechendem Verdacht sollte beobachtet werden, ob es einmalige Anzeichen sind oder häufige bzw. ob mehrere dieser oder ähnlicher Anzeichen vorliegen.

Es ist schwer, jemandem unlautere Absichten nachzuweisen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Bei entsprechenden Befürchtungen sollte man sich immer gewiss sein, dass ein abschließender Nachweis und entsprechende Sanktionen immer einer juristischen Prozedur bedürfen, will man sich nicht selbst dem Verdacht ausetzen, der netten Pflegekraft schaden zu wollen. Wir bewegen uns hier auf sehr dünnem Eis. Ist ein solcher Verdacht erstmal in der Welt, kann er nicht einfach aus dieser geschaffen werden, wenn man im Nachhinein seinen Irrtum erkannt hat. Schon Goethe ließ seinen Zauberlehrling klagen: »Die ich rief, die Geister / Werd‘ ich nun nicht los …«

Sollte also die nette Pflegekraft tatsächlich unlautere Absichten haben, wird sie diese logischerweise nicht den benachteiligten Personen mitteilen. Erschwert wird das Ganze, wenn der Papa tatsächlich schwer verliebt ist, und dem Irrglauben unterliegt, die nette Pflegekraft sei das auch. Dann würde jede Intervention der Kinder oder anderer Personen, die erkennbar eine Entfernung der netten Pflegekraft zum Ziel hat, den Papa in das Dilemma führen, sich für eine und damit gegen die andere Seite entscheiden zu müssen. Vorsicht: das geht meistens schief, auch wenn es eigentlich nur dem Schutz des Erbes Papas dienen soll. Papa mag seine Kinder durchaus lieb haben, aber er ist sachlich abhängig von der netten Pflegekraft. Klar, man kann dieser kündigen, wenn man als Kind die Vollmacht hat. Ist es aber juristisch allein die Angelegenheit von Papa, sieht das Ganze etwas anders aus. Und selbst dann, wenn man als Kind eine solche Vollmacht hat und der netten Pflegekraft erfolgreich kündigt, kann man nicht sicher sein, ob Papa nicht an diesem emotionalen Verlust leidet und seine restliche Lebenszeit nicht mehr froh wird. Wir reden hier von emotionaler Abhängigkeit.

Man kann nun angesichts dieser Schwierigkeiten als hilfsbereites und sorgenvolles Kind mit Kanonen auf Spatzen schießen und den Verdacht der Beeinträchtigung der freien Willensbildung in den Raum stellen. Dann muss man letztendlich zum Betreuungsgericht und Papas gesetzliche Betreuung anregen. Bis diese dann juristische Angelegenheit abgeschlossen ist, kann geraume Zeit ins Land gehen und die nette Pflegekraft dafür gesorgt haben, dass sie das schöne Erbe zum Großteil überschrieben bekommt. Bis zur abschließenden gerichtlichen Feststellung des Vorliegens eines Mangels an freier Willensbildung ist jedoch vom freien Willen auszugehen, weshalb Papa jedes Recht hat, sein Geld an jeden zu verschenken, der es seiner Ansicht nach verdient. Keine gute Alternative, zumal damit alles Porzellan der Familie zerschlagen wird und nicht mehr zu kitten ist.

»Was tun?« sprach Zeus …

Meine Empfehlung bei einem solchen Dilemma ist zunächst der Versuch einer Anwendung der Paradoxen Intervention:

Die nette Pflegekraft muss im hier besprochenen Fall den erkennbaren und möglichst unverdächtigen Eindruck erwecken, sie erwidere die Verliebtheit von Papa zumindest grundsätzlich, ansonsten es keinen Sinn hätte, auf diese Weise an die begehrten Tantiemen zu kommen. Und genau an diesem Punkt kann man ansetzen und prüfen, ob es sich tatsächlich um eine gegenseitige Zuneigung handelt oder um schnöden Missbrauch zum Zwecke der Bereicherung.

Gegenseitige Zuneigung zeigt sich durch erkennbare Muster: man ist zärtlich zueinander, man ist immer beisammen, man will dem anderen gefallen. All das kann jedoch einseitig simuliert und missbraucht werden. Ein Merkmal jedoch kann schwer bis gar nicht auf Dauer einseitig simuliert werden: das öffentliche Bekenntnis zur Großen Liebe.

Bestimmt hat schon jeder in der Jugend die Erfahrung gemacht, dass er glaubte, heimlich in jemanden verliebt zu sein, aber bald feststellen musste, dass alle Bescheid wussten. Und wenn die betreffende Person das gar nicht erwiderte, wurde es sehr bald ziemlich peinlich …

Nun kann man Papa und die nette Pflegekraft natürlich direkt einzeln oder zusammen mit der Frage konfrontieren, ob sie sich lieben, aber wie will man sicher sein, dass niemand lügt, wenn man den Verdacht hat, dass die nette Pflegekraft etwas im Schilde führt und Papa die Wahrheit lieber verschweigt aus Angst vor Strafe Liebesentzug?

Wenn die Fragen einmal gestellt und beantwortet sind, kann man nicht einfach zum Davor zurückkehren und einen zweiten Versuch starten. Und was ist, wenn sich Papa und/oder die nette Pflegekraft unangenehm berührt zeigen und sich gegen derart persönliche Fragen verwahren? Wir dürfen nicht unterschätzen, dass Papa sich ohnehin in einer Abhängigkeit befindet und vielleicht noch einen Rest Selbstbestimmung wahren will.

Gehen wir der Sache also auf den Grund, aber ohne die Gefahr, dass es, statt auf den Grund, gründlich in die Hose geht …

Unter einer paradoxen Intervention versteht man eine Handlung, die in scheinbarem Widerspruch zum angestrebten Ziel steht. Das Ziel hier ist das Herausfinden der Wahrheit über die Absichten der netten Pflegekraft auf der Grundlage, dass sie also entweder Papa in seiner Verliebtheit zu bestätigen scheint, statt Grenzen zu ziehen, oder die späte Liebe tatsächlich existiert. Anstatt nun beide zu drängen, endlich die Wahrheit zu sagen, behandeln wir die ganze Angelegenheit einfach als gegeben. Wir behandeln Papa und die nette Pflegekraft einfach als Paar.

Bereits einige, vielleicht auch scherzhaft anmutende Anmerkungen können da wahre Wunder wirken:

… richte Deiner neuen Freundin liebe Grüße aus.

… na, wie gehts dem Paar heute?

… wollt ihr beide nicht mal ausgehen?

… Deine neue Freundin sieht heute aber wieder gut aus.

Wichtig hierbei ist, dass die Rolle, die der Papa der netten Pflegekraft zugedacht hat oder die sie selbst aktiv einzunehmen scheint, auch begrifflich angesprochen wird. Unterlässt man die begriffliche Ansprache, geht es schief, denn dann unterbleibt die nötige offensive Offenkundigkeit, die beide dazu bringen soll, Farbe zu bekennen.

Solche Bemerkungen sind auch nicht übergriffig, sondern können durchaus als Anerkennung der Beziehung gelten. Wenn also Papa und auch die neue Freundin offensiv, aber nett, in ihrer neuen Rolle als Paar und Erweiterung der Familie angesprochen werden, wird sich die ganze Angelegenheit sehr schnell klären.

Handelt es sich tatsächlich um eine neue Beziehung, dann wäre es mehr als merkwürdig, wenn die neue Freundin gleichzeitig eine Angestellte und Weisungsempfängerin ist bzw. als solche behandelt wird. Handelt es sich bei der neuen Freundin jedoch tatsächlich um eine Person mit unlauteren Absichten, wird ihr ein solcher und dann sehr persönlicher Umgang ziemlich schnell peinlich werden, weil das wiederum eine für sie unangenehme persönliche Vereinnahmung durch die Familie ist. Eine Partnerin würde in eine Familie ganz anders eingebunden sein, mit allen Rechten und auch Pflichten gegenüber dem Papa, als eine bloße Angestellte. Sie wird sich innerhalb kurzer Zeit zu den Bemerkungen positionieren müssen: ist sie nun die Neue von Papa oder bloß eine nette Pflegekraft, die dem Papa auch emotionale Unterstützung gibt? Und auch Papa muss hier schnell Butter bei die Fische bringen.

Und je nach Reaktion von Papa und der entweder neuen Frau oder weiterhin netten Pflegekraft kann dann der weitere Umgang mit beiden entschieden werden. Nichts wäre fataler, als eine späte Liebe nicht zu erkennen und zu zerstören. Fatal wäre es aber auch, Papa mit der Überforderung durch eine ihm unter Umständen nicht wohl gesinnte Person allein zu lassen, weil man selbst nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Da ist es doch besser, im Nachhinein einen Irrtum zuzugeben und die scherzhaften Bemerkungen auch als solche gelten zu lassen, um sie in Zukunft nicht mehr verwenden zu müssen.

Fallbeispiel 2

Monika und ihre Familie haben unrecht, und die nette Pflegekraft will für den Papa einfach nur eine gute Pflege gewährleisten und ihm eine gute Freundin sein …

Hier können wir es kurz machen, denn auch in diesem Fall können wir die paradoxe Intervention anwenden und uns und allen Beteiligten Klarheit verschaffen. Auch in diesem Fall werden ein paar im Nachhinein scherzhafte und vielleicht unzutreffende Frotzeleien nicht dazu führen, dass die nette Pflegekraft gehen wird, sofern wir in beiden Fälle beachten, zu allen immer nett und freundlich zu sein, statt das beleidigte Kind zu mimen, dass eigentlich nur Angst um sein Erbe hat.

Wir sehen also abschließend, dass ein solcher Umgang mit dem scheinbaren Dilemma auch für uns als Beteiligte Klarheit über uns, unsere Beziehung zu Papa und unsere Absichten bringen kann.

WIN! WIN! WIN!

Papa will aber … nicht …

Im denkbar schlechtesten Fall stehen die Kinder oder andere Angehörige vor der undankbaren Aufgabe der Entscheidung, ob sie Papa gegen seinen Willen von einem offenkundig schlechten Einfluss durch Hilfskräfte befreien wollen, auch auf die Gefahr, als Spielverderber verdächtigt zu werden, oder ob sie den Dingen ihren Lauf lassen. Spätestens an dieser Stelle muss externe und professionelle Beratung und Handlung ins Spiel kommen. Diese wird im Notfall auch in einer psychiatrischen Begutachtung und vielleicht folgenden angeordneten gesetzlichen Betreuung liegen. Das klingt hart, ist hart, aber bevor man Papa in sein offenkundiges Unglück laufen lässt, sollte man diese Möglichkeiten zumindest in Betracht ziehen und sich beraten lassen. Wenn es nämlich wirklich »nur« ums Geld geht, dann wäre es fahrlässig, indirekt dazu beizutragen, dass Papa am Ende nicht mal mehr über die finanziellen Mittel für Hilfe verfügt.

Sonderfall Demenz

Eine Möglichkeit in der Grauzone zwischen beiden oben erwähnten Möglichkeiten der Entstehung emotionaler Abhängigkeiten muss hier noch eingehender als bisher angesprochen werden:

Gerade bei nachweislich kognitiv beeinträchtigten Menschen kann durchaus das Gefühl einer Partnerschaft mit der Hilfsperson entstehen, die weit über das Übliche hinausgehen kann. Das kann sogar dahin gehen, dass die Erinnerung an einen verstorbenen Partner derart verdrängt wird, dass die Hilfsperson mit dem verstorbenen Partner gleichgesetzt und/oder mit diesem verwechselt wird. Auch Heiratsanträge oder ähnliches, wie der Wunsch nach Überschreibungen materieller Güter, sind durchaus möglich. Hier besteht also ein großes Missbrauchspotential an sich, vor allem speziell dann, wenn Hilfspersonen selbst nicht über die innere Stabilität verfügen, um mit solchen Situationen umzugehen. Auch wenn dieses Missbrauchspotential sachlich eingeschränkt ist durch eine in solchen Fällen meist vorhandene Vollmacht oder gesetzliche Betreuung, können hier doch schwerwiegende Schäden durch emotionalen Missbrauch entstehen.

In diesem Falle kann also nicht von einer gezielten und bewussten Aktivität durch die hilfebedürftige Person ausgegangen werden, auch wenn das nach außen exakt so aussehen kann. Jedoch fehlt es hier an der dazu nötigen Einsichtsfähigkeit der hilfebedürftigen Person. Das müssen Hilfspersonen von kognitiv beeinträchtigten Menschen wissen und dieses Wissen muss vorausgesetzt und gegebenenfalls abgefragt werden. Da kann man nicht im Nachhinein sagen: Das konnte ja keiner ahnen.

In solchen Fällen erfordert es einerseits absolute Professionalität der Hilfsperson, um die hilfebedürftige Person vor Schaden zu bewahren, und andererseits eine offensive Beobachtung der Situation durch Angehörige oder anderes professionelles Hilfspersonal.

Die Rolle der Angehörigen

Ich weise immer wieder darauf hin, dass den Angehörigen von hilfebedürftigen Personen eine wichtige Schlüsselrolle bei der Hilfe zukommt. Es ist nicht damit getan, Hilfskräfte zu suchen, auszusuchen und mit der Hilfe zu beauftragen. Gerade Angehörige befinden sich ebenfalls in einem emotionalen Ausnahmezustand und sollten sich unbedingt alle Hilfe suchen, um mit diesen Situationen umzugehen. Das kann bis dahin gehen, dass man selbst psychologische Hilfe nutzt oder aktiv Seminare oder andere Formen der Schulung aufsucht. Unbedingt. Wenn die Angehörigen versagen, versagt das ganze System. Ich weiß, dass es schwer ist, wenn einem bewusst wird, dass die Veränderungen im Leben des hilfebedürftigen Menschen zu Veränderungen des eigenen Lebens führen, aber an dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei, indem wir sie nicht sehen wollen. Angehörige sind immer befangen, weshalb ein klarer neutraler Blick auf die Situation immer angemessen ist.

Ich habe diesbezüglich ein einfaches, aber nachhaltiges Lebensmotto: So, wie es die Pflicht der Eltern ist, uns in unser Leben zu begleiten, zu helfen und zu schützen, ebenso haben Kinder die Pflicht, den Prozess der Krankheit, des Alterns und Sterbens der Eltern aktiv zu begleiten.

Und ebenso, wie wir nicht wollen, dass Eltern aus Angst vor Überforderung ihre Kinder vernachlässigen, müssen wir uns der Pflicht stellen, das, was uns unsere Eltern gaben, zurückzugeben. Wenn wir dazu bereit sind, haben wir alle Möglichkeiten, mit den Unwägbarkeiten des Lebens angemessen und mitfühlend und vor allem helfend umzugehen:

»Wir sollten unsere einzigartige menschliche Intelligenz nutzen, um Herausforderungen zu lösen, denen wir gegenüberstehen, und niemals aufgeben oder uns sagen, dass es keine Hoffnung gibt. Wenn wir ein positives Ziel haben und gut motiviert sind, das Wohlergehen anderer zu suchen, egal wie schwierig es zu erreichen ist, können wir entschlossen bleiben.« Dalai Lama