Zertifizierte Leistungen gemäß § 45a SGB XI für Demenzbegleitung in 76829 Landau und Umgebung. 0176/34 34 86 74; ed.gn1748065143utiel1748065143gebzn1748065143emed@1748065143ollah1748065143.

Und ewig grüßt das Murmeltier

»Och nö, Mama, nicht schon wieder die ollen Kamellen. Das erzählst Du schon zum tausendsten Male. Ich kann das nicht mehr hören. Wenn Du die Geschichte wenigstens richtig erzählen würdest, aber jedes mal ändert sich die Geschichte so, wie es Dir gerade passt.«

Zeit und Zeitempfinden scheinen für Menschen mit Demenz etwas anderes zu sein als für, äh, Normale? Ich weiß nicht, was normal ist. Ich weiß aber, dass Zeit, unabhängig von der Uhr, ein eigenartig Ding ist. Und Du weißt es auch. Oder hast Du noch nie gesagt: Meine Güte, die Zeit vergeht überhaupt nicht! Meist passiert das, wenn wir auf etwas warten müssen; Godot zum Beispiel. Auch das Gegenteil dürfte bekannt sein: Sagt mal, wo ist denn die Zeit hin?

Ach wie schön war das früher: Die Sommerferien wollten einfach nie enden. Und wie blöd ist das heute: Die Tage sind viel zu kurz, das Leben ebenso.

Zeit ist einfach nicht greifbar. Scheinbar neutral vergeht sie, aber empfinden können wir sie nur anhand unserer Einstellung zu ihr. Ja, das ist ja nur ein Gefühl! Nein, das ist definitiv ein Gefühl! Ohne Zeitgefühl wüssten wir nichts von der Zeit. Dieses Gefühl ist – für uns – die Zeit. Und wie das bei Gefühlen nun mal in der Natur der Sache, dem persönlichen Erleben liegt, erlebt jeder jedes Gefühl anders als andere. Klar, wir können uns darauf einigen, eine Stunde ist einmal der große Zeiger um die Runde. Aber eine Uhr ist nicht die Zeit. Eine Uhr misst nicht einmal die Zeit. Eine Uhr misst unsere Einteilung dessen, was Zeit für uns im Allgemeinen sein soll. Das hilft uns zum Beispiel, nicht zu spät zur Arbeit zu erscheinen, oder die Liebste beim nächsten Rendezvous nicht zu verpassen. Aber so simpel, wie uns das Konzept der Zeit erscheint, so simpel ist es jedoch nicht. Weißt Du, was Zeit ist? Bist Du Dir ganz sicher? Wenn ja, dann melde Dich gleich morgen für den nächsten Nobelpreis an. Warum? Nun ja, keine Disziplin der Wissenschaften weiß, was Zeit ist, obwohl keine wissenschaftliche Messung ohne Zeit funktioniert. Es gibt keine widerspruchsfreie und allgemein anerkannte Definition der Zeit.

John Archibald Wheeler gab einmal zum Besten:

»Von allen Hindernissen, die einer gründlichen Durchdringung der Existenz im Wege stehen, taucht keines erschreckender auf als die ›Zeit‹. Die Zeit erklären? Nicht ohne die Existenz zu erklären. Existenz erklären? Nicht ohne die Zeit zu erklären. Die tiefe und verborgene Verbindung zwischen Zeit und Existenz aufzudecken, um unser Fragenquartett auf sich zu schließen, ist eine Aufgabe für die Zukunft.«

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir wissen einfach nicht, was Zeit ist. Warum aber ist Zeit so bedeutsam im Hinblick auf Demenz? Gute Frage, 1, setzen.

Wir glauben im Allgemeinen, wie das Zeitempfinden von Menschen mit Demenz funktioniert. Wir glauben zu wissen, wie sie ticken (hahahaha). Da ist die Rede von Langzeitgedächtnis und Kurzzeitgedächtnis, von irgendwelche Arealen im Gehirn, die ge- oder zerstört werden und für das Zeitempfinden zuständig sein sollen. All das leiten wir ab aus unserem Wissen(?) um unser Zeitempfinden und die Hirnforschung. Die Hirnforschung funktioniert ganz einfach: Ein Areal X feuert messbare Neuronen ab, wenn ein Impuls Y dort irgendwie ankommt. Daraus schließen wir im Allgemeinen, dass in diesem Areal X die Funktion für den Impuls Y herumhockt und darauf wartet, endlich mal etwas zu tun zu bekommen. Das klingt hübsch einfach, irgendwie maschinell und verlockt zur Annahme von Wissen.

Nebenbei: Ich möchte an dieser Stelle keine Wissenschaftsschelte vortragen. Ich bin ein Fan der Wissenschaft und was die Neurologie inzwischen so alles kann, grenzt an Wunder. Meine Hochachtung an alle dort Forschenden. Was mich hier so scheinbar despektierlich schreiben lässt, ist der weit verbreitete Glaube vieler Menschen, dass wir wüssten, was Zeit wäre und Zeitempfinden demzufolge zu sein hätte, nämlich ein getreues Abbild unseres Wissens von Zeit. Wäre das tatsächlich so, dass hätten wir kein Zeitempfinden, weil wir nicht wissen, was Zeit ist. Und deshalb wenden wir uns nun dem offenbar ganz speziellen, will heißen: von der scheinbaren Normalität abweichenden Zeitempfinden von Menschen mit Demenz zu.

Auch hier eine notwendige Einschränkung: Ich weiß nicht, wie Menschen mit Demenz Zeit empfinden. Ich weiß, wie ich Zeit empfinde. Ich ahne, wie andere und mir sehr nah stehende Menschen Zeit empfinden, und ich weiß, dass Angehörige von Menschen mit Demenz sehr oft Probleme mit deren Zeitempfinden haben. Aber das ist nicht schlimm, Erwachsene haben auch sehr häufig ein gestörtes Verhältnis zum Zeitempfinden von Kindern oder Jugendlichen. Irgendwie scheinen die kleinen Biester unter »Um neun Uhr ist Schlafenszeit« immer irgendetwas anderes zu verstehen, als die Eltern, wo doch überall im Hause Uhren hängen, die nach derselben Zeit funktionieren. Wie machen die das nur?

Das Zeitempfinden von Menschen hängt offenkundig irgendwie mit allen anderen Geschichten, die ein Leben ausmachen, zusammen und daher scheint es nicht wirklich verwunderlich, dass die Änderung des einen mit Änderungen des anderen zusammenhängt. Wahrscheinlich hat das etwas damit zu tun, dass jedes Erleben in der Zeit stattfindet. Deshalb kann man das Zeitempfinden auch nicht vom Rest des (Er-)Lebens trennen zu können bzw. ergibt das wenig Sinn.

Sogenannte normale Menschen sind deshalb normal, weil sie Normen akzeptieren und leben, die wir unserem gesellschaftlichen Leben geben. Nicht mehr ganz so normal erscheint das, wenn wir diese Normen mit Normen vergleichen, nach denen andere Gesellschaften funktionieren. Ob es sich dabei um eine Gruppe Menschen in einem Urwald handelt, die unsere Normen nicht kennen, oder um unsere Nachbarn, die immer erst am Mittag aufstehen, ist dabei unerheblich. Das Prinzip ist dasselbe: Normen gelten für begrenzte Bereiche. Ein Stahlwerk hat andere Normen als ein Künstleratelier. Tatsächlich pendeln wir Tag für Tag zwischen verschiedenen Normbereichen, ohne es bewusst wahrzunehmen. Es stört uns in diesen Fällen einfach nicht.

Warum nun stören uns Normen, nach denen Menschen mit Demenz zu funktionieren scheinen? Weil wir diese Normen nicht gemacht haben, uns nicht dafür entschieden haben, nicht nach ihnen leben. UND weil Menschen mit Demenz in ihrem Normbereich zugleich in UNSEREM Normbereich leben. Und wer bestimmt über unseren jeweiligen Normbereich? Selbstverständlich WIR! Das führt unweigerlich zur Frage: Warum tun wir uns oft so schwer damit, den Normbereich anderer anzuerkennen, wo wir im selben Atemzug verlangen, dass unser Normbereich anerkannt und akzeptiert wird? Mit dem gleichen Recht könnten doch Menschen mit Demenz verlangen, dass wir unseren Normbereich an ihre jeweiligen anpassen?

Merkst Du, wie tief die Sache geht? Wir reden hier über gesellschaftliche Belange, die man nicht einfach damit abtun kann, indem man sagt: Ach, der ist dement, und nun müssen wir zusehen, wie wir damit klarkommen, während er bitteschön sich nach unseren Normen zu richten hat. Unser Land unsere Regeln. Kommt Dir das bekannt vor?

Es gibt eine kleine Geschichte vom Taubenschach. Warum spielt man mit Tauben kein Schach? Ganz einfach: Tauben kennen die Regeln nicht, schmeißen alle Schachfiguren um, scheißen auf das Schachbrett und stolzieren dazu umher, als wären sie die Gewinner. Tauben funktionieren einfach anders. Wenn Du mit Tauben spielen willst, musst Du lernen, wie sie funktionieren.

Wer viel mit alten Menschen arbeitet, weiß, dass irgendwann die vielen, kleinen Bezüge zur »Wirklichkeit« nach und nach zu verblassen beginnen und sich eine gewisse Eleganz hin zur Nachlässigkeit breit macht. Da sitzt man schon mal am Mittagstisch im Schlafanzug. Wohlgemerkt: normale Menschen dürfen das. Bei alten Menschen wird darauf bestanden, dass diese ordnungsgemäß zum Appell erscheinen … Alte-Leute-Dress inklusive. Wo kämen wir denn hin, wenn hier jeder macht, was er will? Ja, wo kämen wir denn dann wirklich hin? In die Hölle?

Unsere Persönlichkeiten entstehen, wie so oft bemerkt, durch Geschichten. Wichtige Geschichten. Schließlich sind diese Geschichten unser Leben. Aber eben nur ein Teil unserer Leben. Kleinen Kindern gegenüber, die diese Geschichten erst noch lernen sollen, üben wir uns in elterlicher Nachsicht. Die sind ja noch so klein. Aber spätestens, wenn die Zeit anrückt, am frühen Morgen schlaftrunken in die Kinderkaserne auszurücken, ist der Spaß vorbei. Solange Du deine Füße unter meinen Tisch ….

Und dann geht es ganz schnell, dass die Zeit verflogen ist, wir nicht nur alt werden, sondern zweifellos alt sind, und schon sind die Manöver zum Erhalt der Alltagstauglichkeit an der Tagesordnung. Da werden Bälle im Kreis geworfen, alte Lieder gesungen, pünktlich zum Mittag gegessen. Und wer nicht will und nicht offenkundig bettlägerig ist, wird auch schon mal im Rollstuhl dahin gefahren, wohin er nicht will.

Die Tatsache, dass ab einem gewissen Alter, oder – bei Menschen mit Demenz – ab einem gewissen Zustand, unsere Geschichten weniger bis keine Sinne mehr ergeben, scheint irgendwie unterzugehen im fleißigen Bemühen um Erhalt der Kompetenzen. Es scheint für alte Menschen einfach nicht mehr sinnvoll, Normen zu erfüllen, die für sie keinen Sinn (mehr) machen. Doch anstatt alten Menschen ihre Normfindung und Normumsetzung selbst zu überlassen, wird ihr Leben gepflegt ignoriert … natürlich immer mit den besten Absichten. Wir sind schließlich keine Unmenschen. Und selbiges passiert Menschen mit Demenz den Rest ihres Lebens. Andere bestimmen, was für den Menschen mit Demenz am Besten ist, weil dieser angeblich nicht weiß, was das Beste für ihn ist. Der Widerspruch, dass kein Helfer weiß, wie es ist, mit Demenz leben zu müssen, wird selten aufgeklärt.

Und ebenso, wie die bisher widerspruchsfreien und konsistenten Geschichten beginnen, zu bröckeln und ihren Sinn zu verlieren, ebenso scheint das bisher bekannte Konzept der Zeit seinen Sinn zu verlieren, wenn man dement ist. Diese Vermutung als wahr vorausgesetzt, erscheint es gar nicht mehr so spektakulär verwerflich, wenn ein Mensch mit Demenz die scheinbar selben Geschichten in verschiedensten Varianten in verschiedenen Zeitformen und auf verschiedenen Zeitebenen erzählt. Komisch erscheint das nur den sich als normal bezeichnenden Menschen. Ich habe noch keinen Menschen mit Demenz erlebt, der sagte: Meine Güte, was erzähle ich da für einen Unsinn? Das war doch eben noch ganz anders?

Für einen Menschen mit Demenz kann jeder Augenblick völlig neu sein. Dass diese Menschen dabei die Erinnerung an frühere Ereignisse scheinbar konsistent behalten, kann daran liegen, dass sich diese Geschichten, wie zum Beispiel Kriegserlebnisse, derart tief in das Bewusstsein eingeprägt haben, dass sie von späteren Erlebnissen zwar überlagert, aber nicht ausgelöscht werden.

Im Buddhismus gibt es einen Begriff, der diesen Vorgang gut umschreibt: Speicherbewusstsein. Im Buddhismus geht man davon aus, dass es eine grundsätzliche Ebene im Bewusstsein gibt, die mehr oder weniger unberührt von alltäglichen Konditionierungen existiert, und deren Inhalte zwar hin und wieder neu strukturiert werden, aber eben grundsätzlich neben dem normalen Leben existieren. Dort lagert zum Beispiel auch das Mitgefühl, welches dem Buddhismus nach nicht erlernt, sondern (wieder) entdeckt werden kann. Es gibt sogar Übungen, die dazu führen, bestimmte konditionierte Bewusstseinsinhalte zielgerichtet im Speicherbewusstsein abzulegen. In Fällen, wo dieses Speicherbewusstsein bewusst gefüllt werden kann mit nutzbringenden Eindrücken, spricht man auch von Schatzkammerbewusstsein.

Vorausgesetzt, diese Theorie des Speicherbewusstseins stimmt, und viele Anzeichen sprechen eher dafür als dagegen, so kann wohl auch ein Mensch mit Demenz, mehr oder weniger bewusst, auf diese Inhalte zugreifen und mit alten Konditionierungen sowie neuen Eindrücken eine neue Realität erschaffen, in der er sich zurecht finden kann. Oder er kann auf diesem Wege behutsam begleitet werden. Ob diese Realität mit der gewünschten seiner Angehörigen oder anderen Menschen übereinstimmt, ist dabei völlig unerheblich.

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